Handbücher und Nachschlagewerke: Beilstein, Gmelin, Roempp & Co.

Zur Geschichte chemischer Handbücher und Nachschlagewerke


Dieser Text enthält historische Anmerkungen zu folgenden Handbüchern und Nachschlagewerken zur Chemie in der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Hamburg-Harburg:


Zur schnellen Information über ein Teilgebiet der Chemie oder Verfahrenstechnik oder über eine bestimmte chemische Verbindung und deren Eigenschaften zieht man am besten die grossen Handbücher und Lexika der Chemie zu Rate.

Entgegen der ersten Gedankenassoziation sind diese Nachschlagewerke, als umfassendste wissenschaftliche Publikationsform, meist sehr "unhandlich". Das Handbuch, englisch wird meist das Wort "treatise" verwendet, als "Sammelwerk aus Monographien, durch die ein bestimmtes Wissensgebiet weitgehend vollständig und homogen erfasst wird"(1), ist in der Regel systematisch gegliedert (Beilstein, Gmelin), manchmal auch alphabetisch (Ullmann). Mit dem englischen "handbook" dagegen ist meist ein auf die Bedürfnisse des Praktikers abgestimmtes einbändiges Werk gemeint.

Anfang des 19. Jahrhunderts konnte Leopold Gmelin (1788-1853) in seinem 1817 und 1819 in 3 Bänden erschienenen "Handbuch der theoretischen Chemie" noch das gesamte chemische Wissen seiner Zeit auf engem Raum zusammenfassen. Auch die organische Chemie war mit dem 3. Band vertreten. Schon die 4. Ausgabe, zwischen 1843 und 1852 erschienen, umfasste 5 Bände, 2 davon für die wachsende organische Chemie. Die weiteren Auflagen nach Gmelins Tod befassten sich nur noch mit der anorganischen Chemie.

Das, nach Wilhelm Ostwald, "Urbild des chemischen Handbuches"(2) ordnet die Elemente a,b,c,... und ihre Verbindungen bis heute nach der Reihenfolge a, b, ab, c, ac, bc, abc,... Bei jedem Element werden sämtliche Verbindungen abgehandelt, die das Element mit sämtlichen vorher behandelten bildet. Die Reihenfolge der Elemente selbst folgt nicht dem Periodensystem, vielmehr stehen die Elemente am Anfang, die in der Regel Anionen bilden, gefolgt von den elektropositiveren Elementen. Eine Verbindung ist im Gmelin normalerweise unter dem elektropositivsten Element der Verbindung beschrieben. Der grundsätzliche Unterschied des Gmelin'schen Handbuches zu den Lehrbüchern seiner Zeit war die Verwendung der Literatur. Es wurde und wird noch heute versucht, die gesamte vorhandene und wichtige Literatur bei jedem Element und jeder Verbindung anzugeben.

Gmelins "Handbuch der anorganischen Chemie" erscheint seit 1924 in 8. Auflage, seit 1982 nur noch in englischer Sprache. Neben den Elementen und anorganischen Verbindungen werden auch metallorganische Verbindungen behandelt. Seit 1990 trägt der Gmelin deshalb den Titel "Gmelin Handbook of Anorganic and Organometallic Chemistry".

Gerade die Entwicklung der organischen Strukturchemie in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts führte zur Konstitutionsaufklärung und Synthese zahlreicher, auch in der Natur nicht vorkommender organischer Verbindungen und bewirkte den grossen Aufschwung der chemischen Industrie bis zum Ende des Jahrhunderts. Auswirkungen waren auch das Erscheinen eines nur der organischen Chemie gewidmeten Handbuches, des Beilsteins, und die Herausgabe grosser Handbücher zur technischen Chemie (siehe unten).

Schon 1872 schrieb Friedrich Conrad Beilstein (1838-1906) an Emil Erlenmeyer: "Es giebt viel & namentlich die Litteratur. Es ist ein Jammer, wie es augenblicklich um Handbücher der Chemie bestellt ist. Um jeden Dreck muss man jetzt Schaaren von Bänden durchstoebern."(3) Hier wollte Beilstein helfen, als er 1881 mit der Herausgabe seines "Handbuches der organischen Chemie" begann. Die Vorarbeiten zu diesem Werk begannen wesentlich früher. Am 6. März 1878 schrieb Beilstein an Erlenmeyer: "Ich bin nun ernstlich an die Ausführung eines Planes gegangen, der mir sehr lange vorschwebt: ich schreibe wirklich eine organische Chemie. Nun ist mein Schmerz gross. Da mir das ganze Material vollständig gesammelt vorliegt, so hoffe ich mit dem Niederschreiben in 2 Jahren fertig zu sein. Nun bin ich schon im 2. Jahre an der Arbeit & nur bis zum Glycerin gekommen.

Ich habe mir nämlich zur Regel gemacht beim Schreiben alle Citate selbst zu controlliren & das ist es was mich so verzweifelt langsam vorankommen lässt. Aber eine solche Arbeit ist nicht zu umgehen, wenn die Angaben durchaus zuverlässig sein sollen. Was ich bis jetzt geschrieben habe, ist eigentlich eher ein Catalog der organischen Chemie als ein Lehrbuch."(4) Auch heute noch hat sich der "Beilstein" die kritische Prüfung und exakte Wiedergabe aller Erkenntnisse über die bekannten Kohlenstoffverbindungen zum Ziel gesetzt. Zur systematischen Gliederung der organischen Verbindungen schrieb Beilstein im Vorwort des 4. Bandes der 3. Auflage seines Handbuches (Hamburg und Leipzig: Voss, 1899): "Die alte Eintheilung der organischen Chemie in Fettreihe und aromatische Reihe erschien nicht mehr zeitgemäss. Immer groesser wurde die Zahl der dazwischen liegenden Verbindungen, von denen es unentschieden blieb, ob sie in den ersten oder eher in den zweiten Theil gehoerten. Die cyclischen Stickstoffverbindungen waren, wie in der früheren Auflage, zerstreut an verschiedenen Stellen abgehandelt."( S. V)

Die Grundlage des heutigen Beilstein-Systems wurde 1907 von B. Prager und P. Jacobson entwickelt, wobei jede exakt beschriebene organische Verbindung aufgrund ihrer Konstitutionsformel einen festen Platz zugewiesen bekommt.(5) Vorher wurde die Herausgabe der Supplemente des Handbuches der Deutschen Chemischen Gesellschaft übertragen, die 1922 auch das Gmelin-Handbuch übernehmen sollte. Diese Supplemente wurden herausgegeben, damit die Brauchbarkeit der ersten Bände erhalten bleibt, bis eine neue Auflage fertig ist. Die Mühe einer neün Auflage wurde dann beim Beilstein nur noch einmal gemacht. Seit 1918 erscheint die 4. Auflage, zu der seit 1984 das 5. Ergänzungswerk, umfassend die Literatur von 1960 bis 1979, nur in englischer Sprache erscheint.

Von den in der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts erscheinenden Handbüchern zur technischen Chemie ist das "Encyklopädische Handbuch der technischen Chemie" von F. Stohmann und Bruno Kerl (4. Aufl. Braunschweig: Vieweg, 1888-1905) zu erwähnen, die "Muspratt's Theoretische, praktische und analytische Chemie in Anwendung auf Künste und Gewerbe" übersetzten und bearbeiteten. Dieses Handbuch war der Vorläufer zur "Enzyklopädie der technischen Chemie" von Fritz Ullmann, 1914 - 1922 in 12 Bänden erschienen.(6) Die 5. Auflage des Ullmann erscheint seit 1985 unter dem Titel "Ullmann's encyclopedia of industrial chemistry" in englischer Sprache.

Das seit 1989 in 9. Auflage erscheinende "Roempp-Chemie-Lexikon" steht in der Tradition der alphabetisch geordneten Fachwörterbücher, die schon relativ früh in der Chemie anzuteffen sind. Erster Vertreter war P. J. Macqür's "Dictionnaire de Chymie" (1766). In der Mitte des letzten Jahrhunderts erschien u.a. das "Handwörterbuch der reinen und angewandten Chemie", herausgegeben von J. Liebig, J.C. Poggendorff und Fr. Wöhler (Braunschweig: Vieweg. Bd.1 - Bd.2,3 in 2. Aufl. 1857-1862; Bd.3 - Bd.9 in 1. Aufl. 1848-1864). Für Wilhelm Ostwald ist die Tatsache, dass chemische Wörterbücher gerade am Anfang der Entwicklung der Chemie eine grosse Rolle gespielt haben, ein Zeichen dafür, dass die Wissenschaft noch nicht so weit war, um eine systematische Ordnung zu gestatten.(7)


Anmerkungen und Literaturhinweise

(1) K.Chr.Buschbeck, W.Lippert und E.Uehlein: Das systematische Handbuch in der naturwissenschaftlichen Literatur. Naturwissenschaften 55(1968) S. 379-384. Hier: S. 379.

(2) Wilhelm Ostwald: Die chemische Literatur und die Organisation der Wissenschaft. Leipzig: Akadem. Verl.-ges. , 1919. Hier: S.51.

(3) Beilstein - Erlenmeyer : Briefe zur Geschichte der chemischen Dokumentation und des chemischen Zeitschriftenwesens/hrsg. u. erl. von Otto Krätz. München: Fritsch, 1972. Hier: S. 27-28.

(4) Beilstein - Erlenmeyer, a.a.O. Hier S. 60-61.

(5) Roempp-Chemie-Lexikon / hrsg. Jürgen Falbe... Stuttgart u.a.: Thieme, 1989. Bd. 1, S.368.

(6) Robert P. Multhauf: The history of chemical technology. New York u.a.: Garland, 1986. Hier: S. 21.

(7) Wilhelm Ostwald, a.a.O. 1919. Hier: S. 19.


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