Rezension: Kursbuch Internet

Erscheint in: Auskunft 17(1997) 454-457


Kursbuch Internet : Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur /Stefan Bollmann und Christiane Heibach (Hrsg.) Mannheim: Bollmann, 1996. 512 S. ISBN 3-927901-82-2 44,- DM


"Kursbücher geben zwar Verbindungen an, zeigen aber nicht, wo es lang geht." Dieses Zitat aus dem Vorwort vom "Kursbuch Internet" deutet schon an, worum es in diesem Werk geht, den Versuch, das Internet in all seinen Facetten aus verschiedenen Blickrichtungen zu beschreiben. Das Buch stellt sich quasi als Hintergrund-Lektüre zum Reisen durch das Netz dar, nicht als Reiseführer. Dabei sind die Hintergründe vielfältiger Art: politisch-rechtliche Aspekte finden sich unter der Überschrift "Netz und Gesetz", wirtschaftliche unter "Netz-Wirtschaft" sowie soziologische unter "Netzwesen" und "Die vernetzte Frau". Kultur und Wissenschaft bilden den Schwerpunkt der Kapitel "Netz-Werk" und "Netz-Ästhetik". Leider kommt aus meiner Sicht der Aspekt Wissenschaft etwas zu kurz. Denn nach dem militärischen Beginn war die Wissenschaft, spezieller die Naturwissenschaft und Technik, die erste Domäne des Internet. Hierzu, auch über speziellere aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich, wie vielleicht 3-D-Anwendungen z.B. in der Chemie oder KI-Entwicklungen, erfährt man relativ wenig, vielleicht weil diese nicht populär genug sind.

Für jemanden, der vom Hintergrund Naturwissenschaft aus seine Erfahrungen im Internet macht, ist es aber auch interessant, von eher "komplementären" Erfahrungen im Netz zu hören, so vom "Cybersex" und von Partnersuche in sogenannten MUD's, einer Art Online-Phantasie-Rollenspiele oder Chats, Online-Gesprächen in Real-Zeit.

Aber auch für denjenigen, der bisher nicht viel vom Internet gehört hat, bietet das Buch viel. Einer gelungenen "Barmherzig untechnischen Einleitung" als erstem Aufsatz des Buches folgt am Ende ein "Unbarmherzig technischer Ausklang". Beide Teile versprechen nicht zu viel, der Leser erfährt die wesentlichsten Hintergründe, um auch selbst praktische Erfahrungen im Internet sammeln zu können.

Genau wie der ein Jahr früher erschienene Kompagnon-Band "Kursbuch Neue Medien"[1] enthält auch dieser Sammelband neben Originalbeiträgen Übernahmen von Artikeln, z.B. aus der Computer-Seite der Zeit, aus dem Kursbuch, der Zeitschrift "Wired", aber auch von Texten, die bisher nur im Netz veröffentlicht wurden, z.B. in der Zeitschrift "telepolis" des Bollmann-Verlages (http://www.heise.de/tp/), von der es jetzt allerdings auch eine Print-Ausgabe gibt.

Die philosophische Orientierung vieler Aufsätze spiegelt auch die Vorlieben des Herausgebers und Verlegers Stefan Bollmann wider, der ja in seinem Verlag auch das Gesamtwerk des "Medienphilosophen" Vilèm Flussers verlegt.2 Das "Kursbuch Neue Medien" ist sogar dem Andenken Flussers gewidmet. Gerade philosophische Betrachtungen über die Zukunft der Neuen Medien, deren Verhältnis zur Realität und deren Einfluß auf die Kultur und Gesellschaft werden angesichts der rasanten technischen Entwicklung immer wichtiger. Daß auch die Fachphilosophen sich langsam damit beschäftigen, zeigt der XVII. Deutsche Kongreß für Philosophie "Cognitio humana - Dynamik des Wissens und der Werte", der Ende September 1996 in Leipzig stattfand und zu dem die Veranstaltern des Kongresses schreiben:

"Die vornehmlich technik- und wissenschaftsbedingte Dynamisierung unserer Zivilisation konfrontiert uns mit Problemen von Ungewißheit, Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und Desorientierung, die durch eine bloße Anpassung unserer Wissensstandards und Rechtfertigungsstrategien nicht mehr zu bewältigen sind." [3]

Die mehr als 30 Aufsätze werden wie beim "Kursbuch Neue Medien" im Text ergänzt durch erläuternde Stichworte und sogenannte Netlights, quasi in Hypertextform. Letztere stellen wieder eigene kleinere Artikel dar. Natürlich ist es schwer, bei der großen Vielfalt einzelne Artikel hervorzuheben.. Bei deren durchweg guter Qualität werden dabei nur die Vorlieben des Reszensenten deutlich:

Markus Nickls Aufsatz "Web Sites - Die Entstehung neuer Textstrukturen" bietet eine gute Übersicht über voraussehbare Änderungen des konventionellen Textbegriffs. Florian Rötzer stellt dem neuen Fachinformationsprogramm der Bundesregierung mit dem Titel "Rohstoff Information" terminologisch, ob bewußt oder nicht, weiß ich nicht, den Aufsatz "Aufmerksamkeit - der Rohstoff der Informationsgesellschaft" gegenüber.

Die Verschiedenheit der Ansätze der Autoren dieses Sammelbandes zeigt exemplarisch ein eher positiv orientierter Beitrag "Das internetvernetzte Unternehmen", dem ein Aufsatz mit dem Untertitel "Warum viele Unternehmen vom Internet enttäuscht sind" folgt.

Eher programmatisch-politischen Beiträgen von Autoren wie Esther Dyson, John Perry Barlow und anderen "Netz-Gurus", wie

werden kritische Kommentare beigegeben, so daß man manchmal das Gefühl hat, bei der Diskussion im Netz dabeigewesen zu sein. [4]

Interviews mit weiteren bekannten Namen, wie Nicholas Negroponte oder Howard Rheingold, finden sich ebenfalls.

Martin Rost fordert eine Diskurs-Markup-Language für die wissenschaftliche Kommunikation im Netz. Die Entwicklung dynamischer Dokumente [5] werden gerade durch die Digitalisierung ermöglicht. Sie erfordert standardisierte Regeln für die spezifische Verschränkung wissenschaftlicher Texte bzw. Textteile.

Veronika Oechtering gibt einen Bericht zur Situation von Bibliotheken und Dokumentation im Internet. Aus Sicht der Informatik und des Bibliotheksbenutzers werden viele bedenkenswerte Fragen zur Rolle der Bibliotheken aufgeworfen und kritische Anmerkungen zur Euphorie über das Internet als Mittel zur elektronischen Bibliothek gemacht.

Die Notwendigkeit des Informationsdesigns wird in einem Beitrag behandelt, dessen in ihm enthaltene Liste von den wünschbaren Kompetenzen eines Designers im Netz, vielleicht bis auf die ästhetische Komponente, aus meiner Sicht auch für den Informationsspezialisten und Bibliothekar der Zukunft Gültigkeit hat:

[6]


Copyright: Thomas Hapke

zurück zur HomePage der TUB-HH

1 Kursbuch Neue Medien / Trends in Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur / Stefan Bollmann (Hrsg.) 2. Aufl. Mannheim: Bollmann, 1996.

2 URL: http://www.bollmann.de

3 Zitiert aus dem Bericht über den Kongreß von Stefan Münker in "teleopolis" http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/konf/2059/1.html

4 Ein Beispiel für eine gedruckte Veröffentlichung einer sich über mehr als ein Jahr hinziehenden Diskussion per e-mail stellt das Buch "Scholary journals at the crossroads : a subversive proposal for electronic publishing ; an internet discussion about scientific and scholarly journals and their future. Washington, DC: Association of Research Libraries, 1995" dar.

5 Siehe z.B. das Projekt "Dynamisches Dokument: Projekt DynPubLib - Dynamic Publishing by Special Libraries in the Internet" des Instituts Arbeit und Technik im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen

6 S. 470


zurück zur HomePage der TUB-HH