Informationskompetenz auf die Spitze getrieben!

Aus der Praxis heraus, aufgrund einer aktuellen Anfrage eines Lehrenden meiner Universität, hier ein Beispiel, warum überflüssiges Wissen hinsichtlich der Informationssuche bei den Kunden der Bibliotheken weiterhin notwendig bleiben wird. <Ironie>Informationskompetenz bleibt also ein wichtiges Thema!</Ironie>.

Wenn ich mir über die Elektronische Zeitschriftenbibliothek die Physical Reviews anschauen will, hier z.B. den Teil E, sehe ich, dass eine Nationallizenz vorhanden ist. Klicke ich hier auf die Nationallizenz lande ich beim Dienst GetInfo der TIB Hannover.

Anscheinend kann ich jetzt gezielt über diese Oberfläche GetInfo in der gewünschten Zeitschrift recherchieren. Es werden mir Artikel der Nationallizenz angezeigt und ich kann mir diese auch im Volltext runterladen, hier ein Beispielartikel. Den gleichen Artikel kann ich auf der Verlags-Website des e-journals nicht mehr bekommen.

Was ist hier passiert? Für mich sieht dies so aus, als ob der Verlag das Vorhalten der Zugriffsberechtigung für die Nationallizenz eingestellt hat und dies auf die TIB verlagert hat, die anscheinend gleichzeitig einen Server mit den Volltexten bereitstellt. Wurde all dies irgendwann mal kommuniziert? Habe ich da was verpasst? Wahrscheinlich!?

Diese Entwicklung bedeutet für Kunden zum Beispiel, dass Artikel, die z.B. via Google Scholar auf der Verlags-Website gefunden werden, an manchen Universitäten nicht im Volltext gelesen werden können. Sie müssen wissen, dass sie den gleichen Artikel über GetInfo nochmal recherchieren müssen, um an den Volltext zu kommen. Das wird alles immer verrückter mit der Informationskompetenz!

Man kommt also bei der genannten Zeitschrift an meiner Universität offenbar über die Recherche bei GetInfo weiterhin an die Volltexte der Nationallizenz, jedoch nicht mehr direkt beim Verlag! Aber es wird noch komplizierter: Für die Zeitschrift Physical Reviews B, die die TUHH-Bibliothek z.Zt. abonniert hat, kommen unsere Kunden an die aktuellen Volltexte über die Verlagswebsite, und hier dann auch (!) an die Volltexte der alten Bände!

Alles sehr spannend und als Endkunde, und als der fühle ich mich hier auch, irgendwann sicher kaum noch zu verstehen!?

Ergänzung vom 14.10.2011:

Nachdem ich gestern das Obige ziemlich schnell runtergeschrieben habe, ist mir bewusst geworden, dass die hier beschriebene Entwicklung wahrscheinlich von grundsätzlicherer Natur ist: Die Verlage werden die von den Bibliotheken gekauften elektronischen Ressourcen aus verschiedensten Gründen irgendwann nicht mehr vorhalten können oder wollen. Gerade hat z.B. ein Verlag seine Plattform gewechselt und manche der eBooks sind dabei nicht mit auf die neue Plattform gewandert. Die TUHH-Bibliothek hat dafür die PDF-Dateien der eBooks angeboten bekommen. Vielleicht stellt ein Verlag seine Tätigkeiten in einem bestimmten Segment ein oder geht gar in Insolvenz. Auch dann sind eigentlich dauerhaft lizensierte eMedien plötzlich nicht mehr verfügbar. Oder der Verlag, wie anscheinend bei den Physical Reviews im Rahmen der Nationallizenzen, möchte ältere "Bestände" und Verträge nicht mehr weiter pflegen.

Ausserdem verdienen Verlage dadurch zusätzliches Geld, falls Interessierte via Google oder sonstwie auf der Verlags-Website landen, das Produkt kaufen, ohne zu wissen, das in den Tiefen des Deep Webs die Produkte frei zur Verfügung stehen.

Es werden sich weitere Geschäftsmodelle ähnlich wie z.B. das von JStor entwickeln, die abgelegten Content der Verlage aufnehmen und anbieten. Bibliotheken werden dann in Zukunft statt in ein Büchermagazin in solche wie im Fall von GetInfo durchaus auch von Bibliotheken betriebene Institutionen investieren müssen, um an ihre gekauften elektronischen Ressourcen langfristig heranzukommen.

Was kann man unseren Kunden angesichts dieser Unübersichtlichkeit hinsichtlich der Suche nach bestimmten Volltexten raten? Ich sage z.B. immer, dass die Suche nach einem konkreten Artikel im Volltext durchaus über Google erfolgen kann. Oft findet man hier das Gesuchte sofort. Nur im Falle man nach der Kreditkarte oder nach einem Login gefragt wird, sollte man sich daran erinnern, dass es Bibliotheken gibt 😎 und im Katalog nach der gewünschten Zeitschrift recherchieren, um so eventuell auf weitere "Standorte" der Volltexte zu kommen oder überraschenderweise 😎 festzustellen, dass diese Zeitschrift leider nur gedruckt in der betreffenden Bibliothek zur Verfügung steht.

2 Gedanken zu „Informationskompetenz auf die Spitze getrieben!

  1. Aber, aber! Wir haben doch eben wieder gesagt bekommen, dass

    „eine Informationsinfrastruktur effizienter funktioniert, wenn Aufgaben von im Wettbewerb miteinander stehenden privatwirtschaftlichen Dienstleistern wie Verlagen und Bibliothekslieferanten übernommen werden statt von der öffentlichen Hand.“

    [Quelle: bildungsklick.de] 😉
    Was so eine nachträgliche Zwangs-Umverlagerung auf die öffentliche Hand oder eine Lücke, die plötzlich da ist, die Benutzer und die Bibliothek eigentlich kosten, das fragt niemand.
    Bezogen auf das Problem, das im Blogeintrag geschildert wird, weiß ich auch keine Lösung. Ob man vielleicht bei den ViFas so eine Ecke „Geheimwissen“ einrichten sollte? Damit Benutzer wenigstens eine zentrale Stelle haben, wo sie’s abholen (und wir, wo wir’s hineinstecken)?

  2. Aus meinem Berufsalltag möchte ich noch folgende Beobachtung hinzufügen: Zeitschriftentitel wird von Verlag A an Verlag B verkauft. Verlag A hostet nach einer Übergangszeit die von ihm verlegten Hefte nicht mehr online. Sind diese von Verlag B nicht mitgekauft worden, verschwinden die älteren Hefte komplett im Datennirwana. Und das kommt gar nicht so selten vor oder andersherum gesagt: immer häufiger. Eine – wie auch immer geartete – Meldung des Verlags A dazu ist mir noch nicht begegnet. So ist es Zufall, daß man solches feststellt oder ein aufmerksamer Leser, der seine Bibliothek auf das Verschwinden von Inhalten aufmerksam macht, damit diese die Verzeichnisse/Anzeigen korrigiert.

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