In einem Blog schreibt man ja schnell mal etwas, was nicht ganz ausgegoren ist. So hat ein Nebensatz in meinem Blog-Eintrag mit dem Titel „Diskussion zur Informationskompetenz“, der sicher etwas missverständlich formuliert war, meinen Freiburger Kollegen Wilfried Sühl-Strohmenger dazu animiert, mir eine Mail zu schreiben. Dies führte zu einem interessanten Austausch über unsere jeweilige Sicht auf Informationskompetenz, und ich hatte dadurch die Gelegenheit deutlich zu machen, warum ich mich an seinem Beitrag im Bibliotheksdienst etwas „reibe“! Vielleicht ist das folgende in Auszügen wiedergegebene „Gespräch über Informationskompetenz“ auch für Lesende dieses Blogs interessant. Man könnte sagen „Information literacy in conversation“, in Anlehnung an den Aufsatz von R. David Lankes, Joanne Silverstein, Scott Nicholson mit dem Titel „Participatory Networks: The Library as Conversation“ (2007).
In einem Beitrag im Bibliotheksdienst hat Wilfried Sühl-Strohmenger einen Vortrag von Susanne Rockenbach zum Anlass genommen, auf „unsinnige Gegensätze zwischen Lehren und Lernen, zwischen Anleiten und Entdeckenlassen, zwischen Neugier/Zweifel und ‚Vorratslernen‘ usw.“ hinzuweisen. In seiner Mail an mich schrieb er dazu weiter:
„[Susanne Rockenbach] hat in Kassel seinerzeit den Begriff der ‚teaching library‘ erstmals in Deutschland als eingängiges Label für die Kurs- und Schulungsaktivitäten der Bibliothek verwendet – sehr wichtig fand ich das. Dabei war doch klar, dass damit keineswegs gemeint war, jetzt nur noch stumpfsinnige Wissensvermittlung nach dem Modell des Nürnberger Trichters zu praktizieren, sondern selbstverständlich das ganze Spektrum pädagogisch-didaktischen Handelns einzusetzen – Einfallsreichtum ausdrücklich erwünscht.
Es wäre ja schön, wenn wir mit unseren relativ bescheidenen Möglichkeiten tatsächlich etwas bewirken können, vielleicht sogar in Richtung auf ‚Verhaltensänderungen‘, aber ich warne da eher vor Überschätzungen. Warum bescheiden wir uns nicht damit, schlichtweg die Informationskompetenz der Studierenden, Schüler, Wissenschaftler etc. zu verbessern, ihnen Katalog-, Datenbank- und Recherchekompetenz zu vermitteln, vor allem: Strategien im Umgang mit der Informationsflut. […] Vielleicht will Frau Rockenbach das letztlich auch alles, aber warum meint sie, das alles ginge nur, wenn man ausschließlich moderiert und nicht auch mal instruiert (flexibler Einsatz der Methoden)? Ein anregendes Lehrgespräch mit den Studierenden kommt eigentlich immer gut an, wie ich selbst häufig erfahren darf. Aber selbstverständlich wollen sie aktiv werden und selber anhand ihrer jeweiligen Themen Recherchen ausprobieren, so dass wir ihr eigenständiges Lernen dadurch fördern können (facilitating). Widerspricht sich doch nicht …!?
[…] Es handelt sich um unterschiedliche Positionen in der Sache, wenn ich mich auf das beziehe, was Susanne Rockenbach vorträgt und veröffentlicht. Und das ist ziemlich eindeutig. Sie läuft Gefahr, die Lerninhalte tendenziell zu vernachlässigen und sie nur als (relativ beliebigen) Stoff für Verhaltensänderungen zu funktionalisieren. Das hatten wir in der pädagogischen Theoriediskussion schon einmal (‚formale Bildung‘), und es ist gründlich widerlegt worden. Wenn wir nicht an den konkreten Inhalten und Themen der Fächer, die unsere Studierenden mitbringen, ansetzen, kommen wir nicht weit. Die Gegenstände sind tatsächlich wichtig, aber wir können natürlich nicht – enzyklopädisch – alles behandeln, sondern müssen sinnvoll reduzieren und auf Exemplarisches abhaben (grundlegende Strategien). Darin besteht ja gerade die Kunst und die hohe Anforderung.“
Es folgen nun Teile meiner Antwort:
Susanne Rockenbach betont, dass „Neugier und Zweifel wecken“ das Wichtigste sei, was man mit Informationskompetenz-Aktivitäten durch Bibliotheken erreichen könne. Hier kann ich ihr nur zustimmen! Aber Neugier/Zweifel ist sicherlich kein Synonym für den Gegensatz zu „Vorratslernen“. Und, da hat Wilfried Sühl-Strohmenger andererseits vollständig recht, man kann dieses übergeordnete Lernziel durch eine Vielzahl von untergeordneten Lernzielen sowie unterschiedlichsten Inhalten und Methoden erreichen!
Wilfried Sühl-Strohmenger hat natürlich auch recht bzgl. unserer ‚relativ bescheidenen Möglichkeiten‘!! In meiner Praxis an der TUHH habe ich zwischen 30 und 75 Minuten Zeit für das Thema, vor Leuten, die ich vielleicht nur einmal sehe und da passt fuer mich Neugier/Zweifel als Leitmotiv. Dass Studierende der Ingenieurwissenschaften dann keine Kleingruppen-Arbeit wollen, sondern schnell und effektiv das Wichtigste mitbekommen wollen und diese Studierenden glauben, dafür reicht die Zeit, ist wohl auch vorstellbar! Darum der Eindruck aus der Diskussion, auf die sich mein Blog-Eintrag bezieht, ‚dass es eigentlich egal ist, was man präsentiert oder macht, die Hauptsache ist, das Thema und die dahinter stehende Bibliothek kommen positiv besetzt rüber.‘
Auch dass es Susanne Rockenbach „auf bestimmte Haltungen und Einstellungen des Lernenden, weniger auf die Inhalte“ sehe ich damit nicht so krass, wie es am Beginn des Aufsatzes von Wilfried Sühl Strohmenger im Bibliotheksdienst heisst! Was inhaltlich die Informationskompetenz-Förderung angeht, halte ich mittlerweile den Umgang mit Datenbanken für weniger wichtig als den Umgang mit Information auf allgemeinerer Ebene, also z.B. der der schon erwähnte Umgang mit der Informationsflut, mit dem Thema des Geistigen Eigentums, … (Trotzdem umfassen meine Aktivitäten weiterhin auch grundlegende Strategien für den Umgang mit Datenbanken, da diese kaum Allgemeingut sind und zur Zeit aus meiner Sicht noch benötigt werden, obwohl ich mich manchmal frage, was davon wie lange noch!)
Für mich eignet sich Susanne Rockenbach nicht als Aufhänger für den Artikel von Wilfried Sühl-Strohmenger, der ja ansonsten eine sehr gute Kurz-Einführung in die Didaktik (Abschnitte 2 bis 5) ist. Gleichwohl halte ich persönlich die von Susanne Rockenbach angesprochene Tendenz „vom Lehren zum Lernen“ für sinnvoll und wünschenswert. Wo immer möglich, sollte versucht werden, diesem Prinzip gerecht zu werden. Aus den Erfahrungen als Vater von zwei Söhnen, die im deutschen Bildungssystem groß geworden sind, kann ich diese Tendenz nur unterstützen.
Ich halte den Begriff „Teaching Library“ als Marketing- Begriff, wie er im Beitrag von Wilfried Sühl-Strohmenger benutzt wird, nicht für optimal. „Learning Library“, also „lernende Bibliothek“ ist auch nicht besser, da man da eher an die Bibliothek als „lernende Organisation“ denkt, die im Zusammenhang mit Bibliotheks-Management sicher wichtig und richtig ist! Aber natürlich sollten und müssen Bibliotheken, wenn sie danach gefragt werden oder ihr Angebot angenommen wird, auch Lehren!! Ich glaube aber, reine Informationskompetenz-Kurse können sehr langweilig für Studierende sein, es kommt eben auch, wie Wilfried Sühl-Strohmenger ja richtig schreibt, auch auf Inhaltliches an! Und Studierende sind in der Regel an Informationskompetenz als Inhalt nicht interessiert. Die Integration von Themen der Informationskompetenz an passender Stelle in fachliche Zusammenhänge bleibt für mich weiterhin das Optimum der Förderung von Informationskompetenz. In den Natur- und Ingenieurwissenschaften finde ich z.B. thematisch Lehrveranstaltungen zur Wissenschaftstheorie und -geschichte der jeweiligen Fächer dafür besonders geeignet. Das Problem dabei ist nur, dass diese bei uns so genannten „nicht-technischen“ Fächer nicht obligatorisch sind, wie sie es aus meinem Verständnis sein sollten. Aber das ist ein anderer „Kampfplatz“ (an dem ich auch leider überhaupt nichts bewirken kann!).
Manchmal erwische ich mich zur Zeit auch dabei und ich habe es in meinem Blog schon erwähnt, dass ich anstatt des Terminus „Förderung von Informationskompetenz“ den Terminus „Förderung von Informationskultur“ immer besser finde.
Der Mailwechsel mit Wilfried Sühl-Strohmenger hat für mich auch dazu beitragen, versuchen zu klären, worauf die (nicht nur) in Deutschland vorhandenen, leicht unterschiedlichen Positionen bzgl. von Informationskompetenz-Aktivitäten von Bibliotheken beruhen. Man kann Informationskompetenz eher klassisch-bibliothekarisch sehen (wenn man dies überhaupt so etikettieren kann?!), während für mich Informationskompetenz eigentlich Teil des Lernens und von diesem nicht zu trennen ist, was natürlich strategisch gesehen für Bibliotheken auch ungünstig sein kann?!
Eine Hannoveraner Kollegin hat dies mal so ausgedrückt, „dass der größte Unterschied … wohl der ist, dass ich Informationskompetenz nicht als selbständiges Kerngeschäft von Bibliothek begreife, sondern als notwendige und zu entwickelnde Ergänzung, immer auch mit dem Ziel, unsere Bibliotheksangebote sowohl bekanntzumachen wie zu verbessern.“ Aber auch hier geht es sicher nur um Nuancen! Trotzdem lohnt es sich meines Erachtens, wie dieses „Gespräch“ zeigt, weiterhin darüber nachzudenken. Mir gefällt auch der Ansatz von Oliver Schoenbeck aus Oldenburg mit dem Titel „Leitidee Informationskompetenz“, diese als ganzheitliche Grundlage aller Bibliotheksdienstleistungen zu betrachten! Die Diskussion um „Deutsche Standards“ z.B. halte ich für völlig überflüssig. Aber da denke ich wahrscheinlich nicht strategisch und politisch genug!?
Insgesamt gilt der Satz von Wilfried Sühl-Strohmenger „Widerspricht sich doch nicht …!?“ sicher auch für unsere Positionen und die von Susanne Rockenbach.
Zum Abschluss weitere Sätze von Wilfried Sühl-Strohmenger:
„Wahrscheinlich bin ich von Haus aus doch zu sehr ‚Pädagoge‘ und tendiere deshalb eventuell zu einer überschätzung der Wirkungen zielgerichteten didaktischen Handelns. Insofern will ich Frau Rockenbach auch gar nicht von ihrer Linie abbringen. Aber einmal grundsätzlich über Lernen und Lehren nachzudenken, ist wichtig. Wir brauchen beides und müssen beides fördern, wenn wir Informationskompetenz fördern und stärken wollen.
Ihr Vorschlag, von ‚Förderung der Lernkultur‘ oder ‚Learning Facilitating Library‘ zu sprechen, hat zweifellos sehr viel Charme. Im ’shift from teaching to learning‘ sehe ich aber beides dialektisch aufeinander bezogen. Wenn Frau Rockenbach es auch so versteht, habe ich keinen Dissens mit ihr, obgleich wir dennoch über die Probleme der Ziele (Standards), Inhalte und Methoden weiterhin reden müssen, um unsere Position als ‚Learning-Teaching-Library‘ in der Hochschule zu festigen. Neugier und Zweifel zu wecken, ist sicherlich sehr wichtig, aber die Studierenden müssen auch konkret etwas lernen (nach Vorgaben der Institute/Seminare), und das geht meines Erachtens ohne ‚Anleitung/Lehren‘ nicht.
Wir bemühen uns in Freiburg eigentlich schon seit längerem, die Lernkultur zu fördern, beispielsweise durch Einrichtung eines ‚Lernzentrums‘, in dem die Studierenden ganz entsprechend ihrem eigenen Bedarf arbeiten und lernen können, mit entsprechender technischer Infrastruktur und mit der Möglichkeit der Beratung. Und zweifellos reicht es nicht aus, Informationskompetenz lediglich durch formalisierte Veranstaltungen födern zu wollen, sondern das müsste in die gesamte ‚Informationsarchitektur‘ der Bibliothek integriert werden. Hier käme dann auch die Bibliothek als räumliche Inszenierung ins Gespräch – ein zunehmend wichtiges Thema. Wir sollten uns ja nicht nur in Schulungsräumen ‚verschanzen‘, sondern die Bibliothek als Ganzes stärker im Sinne der ‚Leitidee Informationskompetenz‘ von Oliver Schoenbeck gestalten.
Unser Gespräch geht um eine sachbezogene Diskussion über grundlegende Fragen des Lehrens und Lernens – und damit stünden wir ja nicht allein. Auch in der Hochschuldidaktik wird dies kontrovers verhandelt und man ringt um den besten Weg – zum Nutzen der Studierenden und ihres Studienerfolgs. Informationskompetenz gehört bestimmt dazu und das ist die Chance der Bibliotheken, die wir als wirksame Lehr-Lernorte ausgestalten müssen. Die verschiedenen Ansätze und Ideen dazu sollten offen diskutiert werden.“
Ich danke Wilfried Sühl-Strohmenger für dieses Gespräch und die Erlaubnis seine Sätze hier wiederzugeben.