Das neue Buch des kürzlich verstorbenen Bundestagsabgeordneten und Pioniers im Bereich erneuerbarer Energiequellen Hermann Scheer trägt den Titel "Der energethische Imperativ : 100 Prozent jetzt : Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist". Der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk hat in seiner Rezension zu diesem Buch in der Wochenzeitung "Die Zeit" („Das drohende Zu-spät“ in der Zeit Nr. 2 vom 5.1.2011, S. 43) etwas „euphorisch“ auch die Aktivitäten des Chemie-Nobelpreisträgers von 1909, Wilhelm Ostwald, beschrieben.
Ostwald hatte mit seinem "Der energetischen Imperativ" – "Vergeude keine Energie, verwerte sie" – und in seinem gleichnamigen Buch von 1912 die Notwendigkeit von Energie-Einsparung schon früh hervorgehoben. In seinem populären Werk mit dem Titel "Die Mühle des Lebens : physikalisch-chemische Grundlagen der Lebensvorgänge" (Leipzig: Thomas, 1911) sagte er so etwas wie die Photovoltaik voraus, wenn er schrieb (S. 74):
"Denken wir uns beispielsweise ein photoelektrisches Element von geeigneter Beschaffenheit konstruiert, das heißt eine Maschine, welche die Strahlung der Sonne direkt in elektrische Energie umwandelt, welche also einen Teil der aufgenommenen Strahlung als einen elektrischen Strom aus dem Apparat zu ziehen gestattet. Dann könnten wir mit Hilfe dieser elektrischen Energie ungefähr alles das leisten, was gegenwärtig die gesamte Industrie, das gesamte Transportwesen usw. mit Hilfe der Steinkohle leistet."
Als Vordenker und Pionier eines weiteren aktuellen Themas sowie mit seinen seine Aktivitäten zum Informationswesen hatte Ostwald diesen Imperativ auch auf das Thema Wissenschaftliche Kommunikation bezogen. Die von ihm als Autor zahlreicher wissenschaftlicher und populärer Bücher, Zeitschriftenaufsätze und Referate wahrgenommene Informationsflut war aus seiner Sicht nur durch eine Gesamtorganisation der wissenschaftlichen Kommunikation – durch technische Hilfsmittel und internationale Zusammenschlüsse – zu bewältigen.
In Ostwalds Buch von 1912 findet sich auch ein Aufsatz über die Brücke, mit dem Titel "Das Gehirn der Welt". Dieser Ausdruck war vorher schon von Zeitgenossen wie Henri La Fontaine und Friedrich Naumann in anderen Zusammenhängen genutzt worden und sollte in den 1930er Jahren durch H.G. Wells als "World Brain" populär werden. Heutzutage weist diese Metapher auf das Internet als Ganzes oder auf Angebote im Netz wie Wikipedia ("wisdom of the crowds"), die ja in der folgenden Ausgabe der „Zeit“ anläßlich des 10. Geburtstages von Wikipedia ebenfalls gewürdigt wurdel!
1911 gründete Ostwald die "Brücke", ein "Institut für die Organisation geistiger Arbeit". Die Brücke war als "Auskunftsstelle der Auskunftsstellen" geplant. Sie sollte die bisher schon vorhandenen Inseln der Organisation der Wissenschaften wie wissenschaftliche Gesellschaften, Bibliotheken, Museen, Firmen oder Einzelpersonen miteinander verbinden. Den internationalen Charakter der wissenschaftlichen Forschung sollte durch die Forderung nach einer internationalen Hilfssprache und einer internationalen Zentralisierung des gesamten Berichtswesens unterstützt werden. Es sollte ein »Brückenarchiv«, so etwas wie eine "umfassende, illustrierte Welt-Enzyklopädie", auf Karteikarten geschaffen werden. Zudem sollten standardisierte Papierformate – Ostwald war an deren Normung (DIN A4) beteiligt – Ordnung in Bibliotheken und Verwaltungen schaffen.
Auf einen anderen Zusammenhang zwischen der heutigen Energie-Problematik und der Frage von Kommunikation und Information habe ich schon mal an anderer Stelle hingewiesen!
Als schönes Buch zur Geschichte und zum Kontext von Wikipedia sei der Titel "Good faith collaboration : the culture of Wikipedia" von Joseph Michael Reagle (Cambridge, Mass.: MIT Press, 2010) genannt.