Dieser Beitrag bietet einen Rückblick zu deutschen Aktivitäten im Umkreis von Informationskompetenz im Jahre 2010. Er fasst das zusammen, was mir in den letzten Monaten persönlich aufgefallen ist. Es fehlt also ganz sicher Einiges! Insgesamt habe ich den Eindruck, dass es trotz des großen politischen Aktionismus (siehe unten!) um das Thema eher ruhiger geworden ist. Inhaltlich-wissenschaftlich wird in Deutschland anscheinend kaum an diesem Thema gearbeitet oder täusche ich mich hier?!
Offiziell-politische Aktivitäten:
- Es gibt eine Arbeitsgruppe Informationskompetenz der BID (Bibliothek und Information in Deutschland), die vor allem politisch wirken soll. Informationskompetenz wird als strategisches Thema für alle Organisationen der BID gesehen, vgl. den Beitrag "BID Bibliothek & Information Deutschland und ihr strategisches Thema „Informationskompetenz" in der Zeitschrift "Bibliotheksdienst" 44 (2010), 11, S.1027-1029.
- Die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft hat sich in ihrer 5. Sitzung und 8. Sitzung auch mit dem Thema Medienkompetenz beschäftigt. Für dieses Thema wurde eine eigene Projektgruppe eingesetzt. Das Thema Informationskompetenz tauchte besonders in der Stellungnahme des Sachverständigen Harald Gapski auf. Auch im Forum wurde zum Thema diskutiert, an einer Stelle sogar mit Bezug zu Bibliotheken.
- Innerhalb der Kommission Zukunft der Informationsinfrastruktur, die von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz des Bundes und der Länder (GWK) ins Leben gerufen wurde, entstand ein Rahmenkonzept Fachinformationsinfrastruktur. In diesem Rahmenkonzept gibt es als einen von 10 "disziplinunabhängigen Aufgabenkomplexen für die Informationseinrichtungen" den Punkt Informationskompetenz und E-Learning, zu dem es auch eine Arbeitsgruppe gibt.
- Es gibt zwei Arbeitskreise der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis (DGI), die sich mit dem Thema Informationskompetenz beschäftigen: Der Arbeitskreis Bildung und Informationskompetenz (IKB) agierte bisher vor allem im Bereich Informationskompetenz und Schule. Der Arbeitskreis Informationskompetenz in Unternehmen (IKU) will die Bedeutung des Themas und damit die von Information Professionals in Unternehmen fördern.
- Die Standards zur Informationskompetenz, von der Dienstleistungskommission des DBV auf den Weg gebracht und 2009 verabschiedet, wurden in der Zeitschrift Bibliotheksdienst 2010 veröffentlicht (Standards der Informationskompetenz für Studierende. Bibliotheksdienst, 44 (2010), 5, S. 373-377).
Praktisches:
- Das Projekt LOTSE hat im Laufe des Jahres eine Reihe von Tutorials ins Netz gestellt, die in der Blogospäre eine intensivere Diskussion auslösten.
- Mehrere Ratgeber-Bücher zum Thema Informationskompetenz sind 2010 erschienen. Neben den beiden im Link eben erwähnten Büchern ist noch ein 2010 mit dem Erscheinungsjahr 2011 publiziertes Buch von Matthias Ballod zu nennen: Informationen und Wissen im Griff : effektiv informieren und effizient kommunizieren (Bielefeld : wbv, Bertelsmann, 2011).
- Auch auf dem Bibliothekskongress 2010 deutete es sich schon an, das Thema Informationskompetenz hat viel Bezug zum Thema Lernort Bibliothek. Der Abschlussbericht zum Studentischen Ideenwettbewerb „Lebendige Lernräume“ 2009 von DINI ist im Herbst 2010 erschienen und online verfügbar.
Verschiedenes:
- Im in diesem Blog schon erwähnten Handbuch Bibliothek 2.0 taucht Informationskompetenz nur relativ selten auf, so z.B. im schönen Artikel "Lernen 2.0 – Bericht aus der Praxis" von Christian Hauschke und Edlef Stabenau. Implizit wird hier die Frage gestellt, ob wir in Bibliotheken Arbeitendende selbst eigentlich schon informationskompetent genug sind, um unseren Kunden so etwas wie soziale Software nahezubringen. Der in diesem Artikel vorgestellte Selbstlern-Lehrgang ist ein guter Weg in diesem Bereich informationskompetenter zu werden.
- Auch im Blog von Anne Christensen ist relativ selten von Informationskompetenz die Rede, aber im Feld der Katalog 2.0- oder Next-Generation-Catalog-Aktivitäten, die ja einen Schwerpunkt von Annes Arbeit bilden, fördern die "neuen Oberflächen" oft auch die Informationskompetenz ihrer Nutzenden. So etwa, wenn man nach dem Eingeben von Suchbegriffen automatisch "ähnliche" Stichwörter angeboten werden, was den Blick auf die Nutzung von Synonymen bei der Recherche lenken kann. Generell taucht hier die Frage auf, wie weit das Konzept Informationskompetenz noch trägt.
- Inhaltlich-wissenschaftliche Forschung und Diskussion zur Informationskompetenz bleibt in Deutschland relativ selten. Eine Ausnahme in deutscher Sprache bildet das Buch "Die digitale Bibliothek von Babel : über den Umgang mit Wissensressourcen im Web 2.0" vom Österreicher Reinhard Bauer (Boizenburg : vwh, Hülsbusch, 2010). Bauer hat 2009 frei verfügbar zum gleichen Thema auch einen Aufsatz mit dem Titel "The Digital Library of Babel or the Art of Handling Knowledge Resources on Web 2.0" veröffentlicht. Auf vergleichbare Bücher wie "Information literacy landscapes : information literacy in education, workplace and everyday contexts" von Annemaree Lloyd (Oxford: Chandos, 2010) oder auch "Critical library instruction : theories and methods", herausgegeben von Maria T. Accardi, Emily Drabinski und Alana Kumbier (Duluth, Minn.: Library Juice Press, 2010), wird man im deutschen Sprachraum wohl noch lange warten müssen