Positionspapiere zum aktuellen Stand zur Informationskompetenz

Passend kurz vor der „Global Media and Information Literecay Week“ 2019 der UNESCO fand am 18. und 19. Oktober 2019 an der Universität Hildesheim die Eröffnungstagung des Projektes "Informationskompetenz und Demokratie (IDE) – Bürger, Suchverfahren und Analyse-Algorithmen in der politischen Meinungsbildung" statt.

Durchgeführt wird das Projekt federführend von Joachim Griesbaum und Thomas Mandl vom Hildesheimer Institut für Informationswissenschaft & Sprachtechnologie sowie von Elke Montanari vom Institut für deutsche Sprache und Literatur.

Die Eröffnungstagung führte mit einem spannenden Programm Menschen aus den Bibliotheken, den Schulen, den Informationswissenschaften, den Medien- und Politikwissenschaften, aus der Deutsch-Didaktik sowie aus dem Journalismus zusammen.

Vor der Tagung wurden die Teilnehmenden um Positionspapiere gebeten, in denen vier Fragen der Veranstaltenden beantwortet werden sollten. Mehr als 20 Teilnehmende nutzten die Gelegenheit, ihre Position schriftlich darzustellen. Das vor der Tagung online veröffentlichte Dokument

„Positionspapiere Informationskompetenz und Informationskompetenzvermittlung : Aktueller Stand und Perspektiven“

bietet eine Vielfalt von Sichten von unterschiedlichsten deutschen Akteurinnen und Akteuren auf Informationskompetenz und damit zusammenhängende Kompetenzen.

Meine Antworten auf die Fragen zum Positionspapier sind auch hier unten zu finden:

„1. Was ist Informationskompetenz? Was macht Informationskompetenz ist Kern aus? Wie weit greift sie, wo endet sie? Inwiefern spielt Informationskompetenz mit weiteren Kompetenzen zusammen?“

  • Informationskompetenz ist auch und vor allem praktizierte soziale Epistemologie (vgl. Fussnote 1, S. 59 in Hapke, 2018, https://doi.org/10.15480/882.1759), also primär eine epistemische Kompetenz („epistemic literacy“, Tuomi, 2015, S.3-4, http://www.meaningprocessing.com/personalPages/tuomi/articles/EpistemicLiteracyOrAClashOfClans.pdf ) zum Umgang mit der Welt, also die Kompetenz das eigene Erkennen und das anderer Menschen zu verarbeiten und kritisch zu hinterfragen, bei Berücksichtigung all der Informationen, die heutzutage auf einen einstürmen (passive Komponente) und gleichzeitig als aktive Komponente, die Kompetenz, Wissenselemente zu erzeugen und diese zu verbreiten, zu publizieren unter Berücksichtigung ethischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Herausforderungen (etwa Aspekte wie Open Access oder Creative-Commons-Lizenzen). Unterschiedliche Sichten auf Informationskompetenz etwa eine funktionale, eine individuell-situative und eine kritisch-soziale (vgl. Abbildung unten) gehören zu jeder kritischen Auseinandersetzung mit Informationskompetenz.
     
  • Informationskompetenz liegt auf einer Ebene mit Begriffen wie Medienkompetenz, digitale Kompetenz und Datenkompetenz oder auch „metaliteracy“ und ist letztlich Teil von Bildung. Eine Diskussion darüber, welcher dieser Begriffe einen oder mehrere der anderen umfasst, ist weitgehend sinnlos. All diese Kompetenzen werden jeweils von teils unterschiedlichen Gemeinschaften auch als Teil ihrer Agenda benutzt, um die eigene Klientel in der Öffentlichkeit positiv sichtbar zu machen, damit ihre eigene Bedeutung zu betonen und um letztendlich das eigene „Überleben“ zu sichern. Dies gilt etwa bzgl. Informationskompetenz bei Bibliotheken und verstärkt auch in den Informationswissenschaften (Ich weiss, ich übertreibe und provoziere hier!! 😎 ), bzgl. Medienkompetenz bei den Medienwissenschaften (besonders der Medienpädagogik), bzgl. digitaler Kompetenz und Datenkompetenz in der Informatik und den Computerwissenschaften.
     
  • Trotz eines Anklangs, der zu sehr etwas Defizitäres betont, umfasst das englische „literacy“, verstanden als „engaging with information in all of its modalities“ (O’Farrill, 2008, p. 167, http://doi.org/10.1515/libr.2008.017, nicht OA), all diese Begriffe.
     
  • Nicht nur auf Hochschulen bezogen gehört eine Kompetenz der Wissenschaftlichkeit dazu (Hapke, 2018, https://doi.org/10.15480/882.1759), eine kritische Wissenschaftskompetenz, wie sie auch im Rahmen der Wissenschaftskommunikation (Priest 2013, https://doi.org/10.1177%2F0270467614529707, nicht OA) oder ähnlich wie oben als „epistemic competence“ innerhalb der Fachdidaktik (Bußmann & Kötter, 2018, https://doi.org/10.23770/rt1819) diskutiert wird. Zu dieser Kompetenz gehört es, zu verstehen wie Wissenschaft funktioniert, wie Erkenntnisse durch definierte Methoden und kritische Beurteilung innerhalb einer akademischen Gemeinschaft oder Disziplin entstehen (siehe auch meine Antworten zu Punkt 4).
     

Sichten auf Informationskompetenz – zwischen klassischer und kritischer Informationskompetenz. Online via https://doi.org/10.5281/zenodo.908479

 

„2. Wie soll man Informationskompetenz vermitteln? Wie soll Informationskompetenz am besten vermittelt werden? Wie werden Menschen am besten zu informationskompetentem Verhalten motiviert und geführt?“

  • Kompetenzen können nur Menschen selbst entwickeln. Man kann dies aber fördern, etwa durch das Ermöglichen forschenden Lernens.
     
  • Mir gefällt, dass Kompetenzen auch als Plug-Ins verstanden werden können (Latour, Bruno. Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Suhrkamp, 2007, S. 357ff, s.a. bzgl. Informationskompetenz Hapke, 2015, S. 8, https://doi.org/10.15480/882.1249). In Abhängigkeit vom situativen Kontext einer Handlung werden eine oder mehrere Kompetenzen aufgerufen, um diese Handlung in welcher Richtung auch immer zu bewältigen. Nach erfolgter Handlung ist die Situation neuer Teil der Plug-Ins und steht als „Handlungskompetenz“ im Weiteren zur Verfügung. Welches Plug-In abgerufen wird bzw. wie in einer spezifischen Situation gehandelt wird, ist abhängig von vorausgegangenen Erfahrungen, Einsichten in die jeweiligen Prozesse zusammen mit einem Verständnis der beteiligten Menschen, Objekte, Institution usw., etwas was man auch Bildung für Handlungskompetenz nennen könnte.
     
  • Förderung von Informationskompetenz durch Beteiligung von Schüler_innen, Studierenden und Bürger_innen an Projekten im Rahmen von einer Bürgerwissenschaft („Citizen Science“) oder in sogenannten „Real-Laboren“, vorausgesetzt diese beteiligen die Teilnehmenden an der Auswahl von Zielen und Themen solcher Projekte. Dabei sollten diese auch nach der eigentlichen Projektphase weiter bestehen und Teil des Alltags der Beteiligten werden. Eventuell ist hier auch eine Integration von „Service Learning“ sinnvoll.
     

„3. Welches sind die zentralen Entwicklungen im Bereich der Informationskompetenz und Informationskompetenzvermittlung?
Wie entwickelt sich Informationskompetenz? Welche Bereiche werden künftig wichtiger?“

  • Eine wichtige Entwicklung war das „Framework for Information Literacy“ der ACRL, weil es Bereiche sozialer Epistemologie mit berücksichtigt. So lassen sich innerhalb der Frames „Authority Is Constructed and Contextual“ und „Information Creation as a Process“ Themen wie das Peer Review sowie der „Mythos der Objektivität“ ansiedeln und damit, dass jede Information im Kontext ihrer Entstehung zu bewerten ist. „Information Has Value“ thematisiert den Warencharakter von Information, aber auch deren Bedeutung als Mittel zum Lernen, zum Weltverständnis sowie zum Verhandeln um Einfluss. Produktion und Verteilung von Information werden also durch rechtliche und sozio-ökonomische Interessen beeinflusst. „Scholarship as Conversation“ betont ein wichtiges Kennzeichen von Wissenschaft, die immer Teil einer diskursiven Praxis ist, welche von Kommunikation und Wissensaustausch, aber auch von konkurrierenden Ansichten und Theorien lebt, die oft nur vorläufigen Charakter haben (vgl. Hapke, 2015, S. 14, https://doi.org/10.15480/882.1249).
     
  • Im allgemein gesellschaftlichen Bereich wird die Entwicklung von Informationskompetenz beeinflusst durch die Herausforderungen, die durch „Fake News“ oder „alternative Fakten“, aber auch durch „Social Media“ und durch „Big Data“ entstehen (etwa Datenschutz, Abhängigkeit von Algorithmen).
     
  • Die durch wachsende Offenheit von Forschung („open science“) und durch digitale Kollaboration entstehenden Herausforderungen tragen dazu bei, dass Themen wie das Publizieren (auch via Open Access) sowie Forschungsdaten von informationskompetent Agierenden berücksichtigt werden müssen.
     
  • Auch „digital literacy“ mit ihren C’s (oder auch K’s) – etwa critical thinking, creativity, communication, collaboration, culture, citizenship, curation – ist heute ebenso wie „data literacy“ Teil der Entwicklung von Informationskompetenz.
     
  • Eine Verbindung mit dem forschenden Lernen unterstreicht, dass Informationskompetenz im oben skizzierten holistischen Sinne zum Forschen gehört.
     

„4. Weitere Aspekte des Themas – Welche? Warum sind diese wichtig? Was folgert daraus?“

  • Letztlich kann man Informationskompetenz auch als transformatorische Kompetenz definieren als „the ability to read and utilize information about societal transformation processes, to accordingly interpret and get actively involved in these processes“ (Schneidewind, 2013, p. 83, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:wup4-opus-49380)
     
  • Das Verstehen von Wissenschaft, die Rolle von Wissenschaft und Technik in der modernen Gesellschaft ist heutzutage nötig, um als Bürger_in und damit auch als Politiker_in die Herausforderungen der kommenden und schon laufenden Transformation reflektiert anzugehen und wenigstens den Versuch einer Bewältigung zu starten. Zu diesen Herausforderungen gehören etwa die Digitalisierung, der Klimawandel, die gesamte Umweltproblematik sowie das seit langem bestehende Ungleichgewicht in der Welt zwischen Nord und Süd, Ost und West, Arm und Reich.
     
  • Informationskompetenz als Bildung bezieht sich auf das Verstehen, wie Wissenschaft(en), Medien und Computer funktionieren und wie sie Umwelt, Gesellschaft (Politik, Wirtschaft usw.) und den Menschen beeinflussen und von diesen beeinflusst werden. Sie dient der Orientierung, dem Verständnis und Bewusstsein für das Funktionieren von gesellschaftlichen und damit auch wissenschaftlichen Prozessen mit all ihren beteiligten Individuen, Institutionen und Objekten, in Latours Sprache mit ihren menschlichen und nicht menschlichen Akteuren.
     
  • Informationskompetenz oder auch die auf gleicher Ebene liegenden Kompetenzen (siehe oben bei Punkt 1) sind für mich für eine demokratische Gesellschaft unerlässlich, um in der Gesellschaft, etwa auch in der Bildung eine möglichst große Vielfalt und Diversität zu erreichen und abzubilden, die die unterschiedlichen Sichten auf Wahrheit und Realität umfasst. Um die immense Komplexität der Wirklichkeit sichtbar zu machen, so dass man nicht auf einfache Antworten und Lösungen hereinfällt, ist Informationskompetenz im hier gemeinten holistischen Sinne notwendig, denn bei kaum einem Thema oder einer Herausforderung gibt es heutzutage, wenn man genauer hinschaut und ggf. tiefer einsteigt, solche einfachen Antworten und Lösungen.
     
  • Letztlich landet man mit dem hier propagierten Verständnis von Informationskompetenz bei Oskar Negts „gesellschaftlichen Kompetenzen“ aus dem Jahre 1993 (Zeuner, 2013, http://www.erwachsenenbildung.at/magazin/13-20/meb13-20.pdf; Negt, 1993, S. 662ff, http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1993/1993-11-a-657.pdf): Kompetenz der Selbst- und Fremdwahrnehmung, technologische Kompetenz, ökologische Kompetenz, historische Kompetenz und Gerechtigkeitskompetenz.