Am 1. Juni bin ich zu Gast im Seminar "Teaching Library : international trends in information literacy" von Prof. Christine Gläser im Rahmen des englisch-sprachigen Masters-Studienganges Informationswissenschaften und -management der Fakulät Design, Medien und Information der HAW Hamburg.
Mein Termin wird den Titel "Information culture and different views on information literacy" tragen, und ich werde hier u.a. Thesen aus meinem kürzlich erschienenden Aufsatz "Informationskompetenz in einer neuen Informationskultur" erläutern. Erscheinen ist der Aufsatz im von Wilfried Sühl-Strohmenger herausgegebenen "Handbuch Informationskompetenz" (Berlin : de Gruyter Saur, 2012, S. 36-48).
Hier folgt ein leicht bearbeiteter, aber stark gekürzter Auszug ohne Fussnoten:
Der Wandel der Welt der Information und Kommunikation
Die moderne Welt der Information und Kommunikation ist einem beständigen Wandel unterworfen. Aktuelle Praktiken und Erfahrungen in neuen Informationsumwelten werden zunehmend von Funktionalitäten und Komponenten des sogenannten Web 2.0 mit sozialen Netzwerken und Informationssystemen wie Facebook, Twitter, Weblogs und Wikis bestimmt. Dadurch verändern sich die Erwartungen und das Agieren der Nutzenden. Die Anforderungen für einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit Information verändern sich.
Im Folgenden werden Anregungen zum Nachdenken über die Frage gegeben werden, wie sich Informationskompetenz in sich ändernden Umwelten von Information und Kommunikation wandelt. Dies impliziert die Frage nach dem, was sich am Begriff Informationskompetenz nicht verändert, wenn sich Informationsumwelten wandeln, also die Frage nach dem Kern von Informationskompetenz. Eine kritische Reflexion des Begriffes Informationskompetenz als neue Informationskultur fördert einen eher kulturorientierten Blick auf die bisherige Theorie und Praxis von Informationskompetenz.
Eine kritische Sicht auf Informationskompetenz
Die Bezeichnung Informationskompetenz 2.0 wurde schon 2007 eher als ein Label für kritisches Hinterfragen gängiger Informationskompetenz-Vorstellungen aufgefasst. Ein kritischer Zugang zur Informationskompetenz umfasst eine kritische Analyse des Begriffes Informationskompetenz. Dieser ist ein Begriff, der von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich verstanden wird. Differenzen und Unterschiede im Gebrauch definieren Begriffe. So spielen Unterscheidungen eine große Rolle, beim Informationsbegriff zum Beispiel diejenigen zu Wissen, Informatisierung, Form, Bildung/Lernen, Kommunikation, Dokument oder Medium. Information kann nie isoliert von verwandten Begriffen betrachtet werden.
Alternative Sichtweisen auf Informationskompetenz
Informationskompetenz wird als Teil der "multi"-, "new" oder "digital literacies" gesehen oder auch nur als eine kritische Einstellung. Ganzheitliche Sichtweisen zu "information literacy" verstehen Informationskompetenz als Meta-Kompetenz, trans- oder "second-order literacy".
Wozu Kultur? Ein kulturbezogener Blick auf Informationskompetenz
Natürlich ist die Kombination von Kultur mit Information keine Lösung für die Begriffsproblematik, denn der Kulturbegriff ist erst recht nur als Vielfalt von Bedeutungen zu verstehen. Aber eine alltägliche Bestimmung von Informationskultur als kultivierter Umgang mit Information, als bewusstes, verantwortungsvolles und kompetentes Umgehen mit dem eigenen Informieren und Lernen, kommt dem nahe, was unter Informationskompetenz verstanden werden kann. Der ebenfalls oft verwendete Terminus der "Lernkultur" impliziert einen engen Zusammenhang zwischen dem Lernenden, der immer auch ein sich Informierender ist, und der Umgebung oder dem Rahmen, in dem das Lernen stattfindet.
Informationskultur betont die Vielfalt beim Umgang mit unterschiedlichsten Informationssystemen im Gegensatz zur Google-"Monokultur". Mit dem Terminus Kultur kommt das Andere in den Blick, die Differenz und damit auch die Information, die nach Bateson über eben diese Differenz definiert wird: "Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht" (Bateson, Gregory: Ökologie des Geistes : anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1985, S. 582). Informationskultur umfasst ein "Sich-selbst-Gestalten", ein Anderssein und sich selbst anders (kritisch) sehen, aber auch einen gemeinschaftlichen, teilnehmenden Ansatz, die Betonung von Kontext und Beziehungen, so z.B. auch im Rahmen einer Fach-"Kultur", und damit eine nicht nur bibliothekarische Sicht auf Informationskompetenz.
Informationskultur meint auch, dass mit Information Umgehende Teil der Kultur eines Faches oder einer sonstigen Gemeinschaft, also Teil einer Diskussions- und Diskurs-Gemeinschaft mit eigenen kulturellen und sozialen Strukturen, sind. Diese können heutzutage auch virtuell im Netz in vielfältiger Weise existieren. Für diese "participatory culture" hat Henry Jenkins eine Reihe von "new media literacies" beschrieben, die zu einer bewussten Informationskultur gehören: "play", "simulation", "multitasking", "transmedia navigation", "networking" u.a.
Im Rahmen eines kulturellen Verständnisses von Information(skompetenz) kommen Fragen von Authentizität, Macht, Identität, Kreativität und Gedächtnis in den Blick, die gerade die moderne digitale Informations- und Kommunikationsgesellschaft prägen.
Was ist der Kern von Informationskompetenz oder Informationskultur?
Der ständige Wandel der Informationstechnologie wirft die Frage auf, welche Fähigkeiten und Eigenschaften des Individuums im Bereich Informationskompetenz wichtig bleiben.
Welche Aspekte von Informationskompetenz gelten unabhängig davon, ob man sich in der Welt der gedruckten Information, im Web 2.0 oder in den vielfältigen Zwischenstufen zwischen beiden bewegt? Ein erster, unvollständiger Vorschlag, wie ein Individuum mit hoher Informationskultur und Informationsbildung agiert, könnte so aussehen:
- Nie nur einer Informationsquelle vertrauen!
- Beim Recherchieren und Informieren jederzeit auf Veränderungen gefasst sein! Das Andere beachten, und über sich selbst und das eigene Informationsverhalten hinaussehen!
- Strategien zur Informationsbewältigung und zum Umgang mit der Informationsflut nutzen sowie Informationsmöglichkeiten und -prozesse kennen.
- Beim Recherchieren über die verwendeten Suchbegriffe und deren Variationen und Synonyme nachdenken. Alltagstauglich ist der Slogan "Bullshit in, bullshit out".
- Sich bewusst sein, dass Informationsprozesse prinzipiell unsicher sind und diese Ungewissheit ertragen lernen (Ambiguitätstoleranz). Differenzen ertragen und aushalten.
- Im Rahmen des Informationsprozesses nicht zu früh aufgeben.
- Sich bewusst sein, dass jedes Informationsprodukt von jemandem Bestimmten mit einem gewissen Zweck erstellt wurde. Jede Tatsache ist eine Tat-Sache.
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