Das Bibcamp in Hannover am 7. und 8. Mai 2010 war wirklich eine aussergewöhnliche Veranstaltung, dank all der Teilnehmenden, Organisatoren und Sponsoren! Ein paar allgemeine Bemerkungen zum Bibcamp:
- Bei sonstigen Bibliothekskonferenzen reist man an, weiss schon vorher genau, wer zu welchen Themen vorträgt. Manchmal weiss man sogar im voraus, was derjenige sagen wird. 😎 30 Minuten Vortragszeit wird von den Vortragenden meistens zu 90% ausgenutzt und dann bleibt maximal noch Zeit für ein, zwei Fragen. Diskussionen passeren selten und wenn nur privat in den Pausen.
- Ganz anders das Bibcamp! Man fährt hin, ohne genau zu wissen, was einen erwartet. Man weiss, man kann selbst eine Session vorschlagen, ist sich aber unsicher, ob es dafür überhaupt genug Zuhörende gibt. Die Vorschläge bei der Sessionplanung zeigten dann ganz schnell, dass man sich eigentlich drei- oder vierteilen müsste, um all diese interessanten Themen mitzubekommen. Man kann dann nur auf eine gute Dokumentation im Bibcamp-Wiki hoffen! Lange Vorträge sind tabu und die Nutzung von Folien wird kritisch hinterfragt. Bei allen Sessions, die ich besucht habe, wurde in der Regel mit mindestens einem Diskussionsbeitrag vom gröten Teil der Session-Teilnehmenden etwas beigesteuert!
- Folgende Themen wurden u.a. vorgeschlagen: Digital vs Papier, Micro-Encyclopedia Wikwikit, Warum wollen Bibliotheken nicht ins Web?, Freie Katalogdaten – wie überzeugen wir Bibliotheken, Dezentrale Suche für OA-Repositorys – Yacy, Sharing von Literaturdaten – Will das jemand, Katalog2.0 – Beratender Katalog, Creative Commons in der Musik, Infrastruktur für Bibliotheksmetadaten, Crowdsourcing für Bibliotheken, Rollenspiel Open Access, Linked Data – Semantic Web, Bibliothekarische Fachkommunikation, OPAC mit VuFind, Facebook für Bibliotheken, Professionalisierung von Bibliothek 2.0, Benutzer-Forschung/-Partizipation; Gibt’s eine Net Generation?, Verlage und Bibliotheken – Idealbild und Technik, Apps für Bibliotheken Usability von Bibliotheks-Websites, Bibliotheken als digitale Kompetenzentren/ Lernumgebungen, Medienpädagogik, Bibliotheken und Wissenschaftskommunikation – Theoretische Reflexion, Kontakt zu Wissenschaftlern/Hochschulkommunikation.
- Noch ein Aspekt, der mir auffiel: Die Teilnehmenden gehen naturgemäß in die Sessions, die einen interessieren bzw. deren Themen affin zu den eigenen Interessen sind. Dies bringt die Gefahr, dass kontroverse Diskussionen leider unwahrscheinlicher werden. So habe ich von der Session "Warum wollen Bibliotheken nicht ins Web?", ohne selbst teilzunehmen, gehört, dass man sich ziemlich schnell einig war über die Antwort auf diese Frage. So hätten auch in der Informationskompetenz-Session ein paar kritischere Stimmen zum Gesamtkonzept Informationskompetenz durch Bibliotheken die Diskussion sicher noch stärker belebt. Daher finde ich Dale Askeys Vorschlag in der Abschluss-Session, Teilnehmende in manchen Session-Blöcken per Los zu den Sessions zuzuordnen, bedenkenswert!
Zu den von mir vorgeschlagenen Sessions:
- Die Session zum Nachdenken über Informationskompetenz wurde in den Sessionvorschlag "Von der Informationskompetenz zum Persönlichen Wissensmanagement" von Anke Wittich integriert, damit wenigstens zwei Zuhörende dabei wären. 😎 Dass dennoch mehr als 20 Personen dieser Session beiwohnten, hat mich überrascht und gefreut! Eine Zusammenfassung der Session bietet ein Blog-Beitrag von Dörte Böhner.
Einführend erläuterte ich meine Gedanken zum Nachdenken über Informationskompetenz. Mein Beitrag stellt so etwas wie eine Kritik der Informationskompetenz dar und möchte nach einer Problematiserung des Begriffs Informationskompetenz vorschlagen, dass die Förderung von Informationskultur vielleicht besser in die Web 2.0 Welt passt! In einer anschliessenden Diskussion interessierte mich besonders die Frage, was in Bibliotheken Arbeitende als Fördernde von Informationkultur oder als Community Technology Stewards (Lambert Heller) wirklich erreichen und leisten können? Der Begriff Informationskultur böte übrigens einen Bezug zu Anne Wittichs Hinfürung von Informationskompetenz zum persönlichen Wissensmanagement, da gerade der Begriff Informationskultur eine große Rolle in Unternehmen spielt (vgl. auch).
In Erinnerung der Diskussion bleibt mir der Vorschlag und die Praxis (in der TIB) Studierende zusammen mit der (oder als Ersatz für die ?) bibliothekarische Auskunft einzusetzen (da müssen in Bibliotheken Arbeitende ganz schön an ihrem Selbstverständnis knappern! 😎 ); außerdem die Beschreibung des strategischen Bloggens durch Markus Trapp, der den Begriff Community Technology Stewards für mich mit Leben ausfüllte.
- Meinen zweiten Sessionvorschlag „Das Internet vor 100 Jahren“ zog ich übrigens am nächsten Tag gleich zurück, da eine eigene Session immer verhindert, dass man andere, viel interessantere Sessions besuchen kann! Vielleicht wird diese Session in Hamburg im nächsten Jahr unter dem Titel „Das Internet vor 101 Jahren“ erneut angeboten. Auch bei weiteren Bibcamps ist diese Session unter leicht verändertem Titel möglich! 😎 Angesprochen auf die Session wurde ich übrigens von Wolfgang Ruge und Jacob Voss, die in ihren Präsentationen (nicht auf dem Bibcamp!) zu Paul Otlet und zu Semantic Web und Linked data zeigen, dass das Thema sogar Web 2.0 aktuell ist (vgl. auch)!
Weitere Sessions, die ich besucht habe:
- Katalog 2.0 – Beratender Bibliothekskatalog
- Professionalisierung von Bibliothek 2.0
- Benutzer-Forschung/-Partizipation; Gibt’s eine Net Generation?
Ein Ansatz zur Förderung von Informationskultur (siehe oben!) passt für mich hier sehr gut rein, da dieser Vielfalt, ein Anderssein und sich selbst anders sehen, Kontext und Beziehungen, z.B. im Rahmen einer Fach-"Kultur" sowie den in dieser Session besonders betonten ethnologischen Ansatz (um Informationsverhalten zu erforschen) impliziert. Regina Pfeifenberger schlug am Ende der Session vor, dass in einer Bibliothek Arbeitende einfach mal ihrer normalen Büroarbeit an einem Arbeitsplatz im öffentlichen Bereich der eigenen Bibliothek nachgehen sollten, um mehr über die Nutzenden und ihre Situation zu "erfahren". An dieser Stelle fällt mir noch eine Anregung von Christian Hauschke beim abendlichen Kneipen-Nachklang ein, ob der Begriff Kunde wirklich so einen guten Begriff im Bibliotheksbereich darstellt?! Wie vieles beim Bibcamp, Stoff zum Nachdenken und Diskutieren! - Gespannt war ich auch auf die Session von Adrian Pohl und Felix Ostrowski (vgl. auch ihren Blog!) "Kulturwissenschaftliche Verortung der wissenschaftlichen Bibliothek und Wissenschaftskommunikation", bei der ausgehend vom Begriff "Kulturelles Gedächnis" (Jan Assmann) über die Rolle von Bibliotheken diskutiert wurde.
Für das kulturelle Gedächtnis ist nach Assmann eine regelmässige "Wiederaufnahme" von Inhalten notwendig, um die Überlieferung zu bewahren. In der Vergangenheit erfolgte dies durch Literaturhinweise in Texten, die dann in der Regel nur über den Ort Bibliothek eine Verbindung zum historischen Text-Zitat ermöglichten. Heute erfolgt dieses durch Links im Netz, und für das kulturelle Gedächnis müssen diese Links langfristig verfügbar sein, was die Bedeutung von konsistenten Links und auch Open Data sichtbar macht! Die Reflexion, was ist wissenschaftlich, benötigt große Aufmerksamkeit, Bibliotheken als Filter fallen weg. Aufgabe von Bibliotheken – als (noch) vertrauenswürdige, beständige Institutionen – wäre die Förderung der Reflexion über Wissenschaft durch eine beratende Funktion, damit neue Regeln für die Wiederaufnahme greifen. Damit bliebe die Bibliothek auch in der Rolle der (Mit-)Erschließerin. Auch die problematische Langzeitarchivierung elektronischer Dokumente bleibt dringende Aufgabe von Bibliotheken im Rahmen dieses kulturwissenschaftlichen Ansatzes.
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